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Auf den Punkt: Interview mit Chenchao Liu

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Chenchao Liu, geboren in China, lebt seit 2002 in Deutschland und ist Geschäftsführer von Silreal aus Berlin. Der Dipl. Chemiker ist China-Experte im Gesundheitswesen, Keynotespeaker und Berater.

gesundheIT: Herr Liu, China geht im Digitalen mit großen Schritten voran. Was ist Grundlage dieses offenbaren Erfolgs?
Liu: Einen wesentlichen Treiber für Erfolg sehe ich darin, Technologie nicht nur zu entwickeln und zu besitzen. Technologie muss auch effektiv eingesetzt werden. Die prinzipielle Offenheit gegenüber Technologie und das kollektive Denken der chinesischen Bevölkerung sind entscheidende Ursachen des digitalen Erfolgs.
Mit einem guten Beispiel konnte China zuletzt auch in der Eindämmung der Pandemie vorangehen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass ein effektiver Datenaustausch sowie punktuelle Kontrollen zielgerichtet eingesetzt wurden. Chinas Bevölkerung hat verstanden, wie relevant ein gemeinschaftliches Handeln bei der Bekämpfung eines weltweiten Problems sein kann.
Im Vergleich dazu sehen wir in Deutschland den unzureichenden Mehrwert der kostenintensiven Corona App. Das Problem ist dabei weniger die Funktionalität, mehr aber der Faktor Mensch. Die App wurde im Juni 2020 unter Zusammenarbeit der Telekom AG, SAP und weiteren Unternehmen entwickelt. Aufgrund der Freiwilligkeit der Nutzung und umfangreicher Datenschutzbedenken der Bundesrepublik konnte die Anwendung bisher keine wesentlichen Vorteile in der Pandemiebekämpfung bieten.
In China hingegen können Interessen nicht nur wegen der zentral organisierten Regierung besser gebündelt werden. Es existiert ein umfassendes Nationalgefühl und die Bevölkerung ist sich bewusst, dass private Interessen zum Schutz der Mehrheit mitunter zurückgestellt werden müssen. Diese Denkweise sowie vorteilhafte Rahmenbedingungen können einen Vorteil für den Erfolg in der digitalisierten Welt darstellen.

gesundheIT: Welche Schattenseiten sehen Sie? Gibt es auch Misserfolge?
Liu: Selbstverständlich stellen eine unkontrollierte Datensammlung und Datenverwendung bis hin zu einer monopolisierten Verfügung über Daten eine gewisse Gefahr dar. Um Abhängigkeiten und Intransparenz zu vermeiden ist eine umfassende Compliance durch die Regierung relevant. Daten sind das neue Öl. Unverzichtbar ist und bleibt dabei aber eine kontrollierte Förderung des neuen Rohstoffs.
Je mehr Versuche gewagt werden, desto fehleranfälliger ist ein System. Dieses Phänomen sehen wir auch bei den laschen Datenschutzbestimmungen und der Technologieoffenheit in China. Es kommt vermehrt zu Daten Leaks und einem unzureichenden Umgang mit personenbezogenen Daten. Hier halte ich eine Balance zwischen Datenschutz und Risikobereitschaft für den besseren Weg.
Auch die Politik der Subventionierung besitzt einige Schwächen. Es entstehen Unternehmen mit zu hoher Bewertung, die keinen realen Gegenwert in gleicher Höhe besitzen. Eine Subventionierung fast schon ohnmächtig wirkender Unternehmen halte ich für weniger Erfolg versprechend.

gesundheIT: Wie kann es Deutschland und Europa gelingen, im technologischen Wettstreit zwischen China und den USA erfolgreich zu sein? Welche Hemmnisse sehen Sie?
Liu: Je größer der Konflikt zwischen den USA und China, desto besser auch die Verhandlungsposition Europas. Bereits jetzt besitzt Europa ein gutes Ausbildungssystem und attraktive Mechanismen, wie den freien Warenverkehr und die Zollfreiheit. Bedeutsam für die die zukünftige Attraktivität des Standortes Europa ist auch die Vereinheitlichung von Standards, ein besserer Zusammenhalt und mehr Entscheidungen nach dem Mehrheitsprinzip und weniger auf Konsens basiert. Dies würde das Tempo der EU deutlich erhöhen.
Ein Hemmnis stellt das teilweise ohnmächtige und ineffiziente System der politischen Entscheidungsfindung dar. Es ist problematisch, dass selbst kleine Länder im Alleingang jederzeit ein Veto einlegen können. Im Zuge dessen sollte nicht immer auf eine gesamteuropäische Lösung gewartet werden. Auch ein innereuropäisches Bündnis, beispielsweise zwischen Frankreich und Deutschland kann mit positivem Vorbild vorangehen.
Wenn das Nutzen der oben erwähnten Chancen trotz der bestehenden Hemmnisse gelingt, sehe ich eine enorme Position Europas im technologischen Wettstreit zwischen China und den USA.

gesundheIT: Mit dem China-Beauftragten Niedersachsens und gleichzeitig Vorsitzenden des Vereins Wissenschaft, Prof. Thomas Hanschke, pflegt die Metropolregion gute Beziehungen zu China. Durch das China-Netzwerk, die China-Woche und die Chinesisch-Niedersächsische Allianz für Wissenschaft und Kultur gibt es vielversprechende Ansätze, die auch im Themengebiet Gesundheitswirtschaft im kommenden Jahr ausgebaut werden sollen. Welche Ansätze der Projektzusammenarbeit empfehlen sie für die Metropolregion?
Liu: Für besonders relevant halte ich die Zusammenarbeit mit verlässlichen Partnern, wie der Außenhandelskammern, etwaigen Beratungen oder erfolgreichen Unternehmen aus der Metropolregion. Glücklicherweise gibt es trotz der sprachlichen Barrieren und der räumlichen Distanz zu China bereits jetzt erfolgreiche Kooperationen. Hier sollte genau hingeschaut werden. Was sind die  Erfolgsfaktoren? Was haben sie anders gemacht?

gesundheIT: Wie kann die Metropolregion auf dem Gebiet der Digitalen Gesundheitswirtschaft in Sachen Wertschöpfung stärker profitieren und sich international stärker profilieren?
Liu: Die digitale Gesundheitswirtschaft bietet einen nahezu unerschöpflichen Pool an Chancen. Nicht nur die Einbindung der Technologie zur Verbesserung der Prozesse, sondern auch eine insgesamt effektivere, flächendeckende Gesundheitsversorgung stellen wesentliche Vorteile der Digitalisierung dar. Um die entstehenden Absatzmöglichkeiten zu nutzen, empfehle ich ungewöhnliche Ansätze mit ungewöhnlichen Partnern. Die Angst vor dem Scheitern ist hier ebenso bedrohlich, wie die Suche nach Gewissheit. Wir müssen uns bewusst sein, dass vollständige Gewissheit unmöglich ist. Daher sollte die Metropolregion eine mentale Haltung einnehmen, welche allen Stakeholdern Mut und Offenheit vermittelt.
Nicht zuletzt spielen attraktive Rahmenbedingungen eine Rolle. Hier ist eine finanzielle Unterstützung der Digitalisierungsprozesse durch die Regierung und die Politik relevant. Die positive Kultur des Ausprobierens sollte beispielsweise durch zielgruppengerechte Förderprogramme unterstützt werden.

Vielen Dank, Herr Liu.

 

Der Beitrag Auf den Punkt: Interview mit Chenchao Liu erschien zuerst auf Metropolregion.


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